Und wieder: Miete in Berlin

Immer ein Dauerbrenner: die angemessene Miete nach § 22 SGB II im Land Berlin und was die JobCenter zahlen wollen.

Dies war hier schon öfters Thema und die Rechtsprechung des Sozialgerichtes Berlin tendiert nun praktisch einhellig dazu, die Tabellenwerte aus dem Wohngeld anzuwenden (die deutlich höher sind; siehe hier).

In einem Urteil und einem Beschluss (beides rechtskräftig) hat nun für die Jahre 2021 und 2022 das Sozialgericht Berlin abermals die Wohngeldtabelle und nicht die AV Wohnen angewandt.

Beschluss des SG Berlin vom 6.07.2022 S 129 AS 3280/22 ER

Urteil des SG Berlin vom 01.07.2022 S 129 AS 1020/22

Auch Mietkautionen verjähren….

Bis zu einer Änderung des SGB II war es üblich, dass Mietkautionen durch die JobCenter als Darlehen – gesichert mit einer Abtretungserklärung- gestellt worden sind , aber keine Aufrechnung während des Leistungsbezuges erfolgte. Nach einem Umzug (und die passiert häufiger als angenommen) wurde vergessen, die Mietkaution zurückzufordern (oder der Vermieter verweigerte die Rückzahlung unter fadenscheinigen Gründen).

Im vorliegenden Fall erhielt die Klägerin nach vielen, vielen Jahren des Auszuges eine Mahnung über die Rückzahlung der Kaution. Problem: meist ist die alte Wohnung verkauft, der Vermieter nicht mehr auffindbar und falls doch, wird – was sein gutes Recht ist- Verjährung eingewandt (nach dem BGB drei Jahre).

Das nunmehr am Wohnort der Klägerin zuständige Sozialgericht Detmold entschied mit Gerichtsbescheid vom 15.06.2022, dass die Rückforderung verjährt ist:

Der Geldendmachung steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens , entgegen. Gemäß § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Über den Wortlaut“ hinaus enthält § 242 BGB einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach ein Verhalten jedenfalls dann rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich der andere Teil in Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten setzt (venire contra factum proprium) und der andere darauf vertrauen konnte, dass er ein Recht nicht mehr geltend machen werde. Der Beklagte hat den ihm unwiderruflich übertragenen Rückzahlungsanspruch gegenüber dem Vermieter innerhalb der maßgeblichen Verjährungsfrist nicht geltend gemacht. Der Klägerin war und ist eine Geltendmachung aufgrund der Abtretung nicht möglich

Gerichtsbescheid des SG Detmold vom 15.06.2022 – S 35 AS 520/21

Verjährung auch bei Rückforderung vorläufiger Bewilligung

Bislang ist es umstritten, ob die vierjährige Verjährungsfrist auch bei Rückforderungen nach § 328 SGB III oder § 41a SGB II gilt. Hier hatte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 2020 entschieden (L 14 AS 553/20 B ER), dass hier eine 30 jährige Verjährungsfrist bestehen könnte .

Nunmehr hat das LSG Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 30.03.2022 sich wegen des Urteiles des BSG vom 04.03.2021 neu sich dahingehend positioniert, als dass auch bei Rückforderungen nach § 40 SGB II iVm. § 328 SGB III bzw. nach § 41a SGB II gleichfalls im Grund eine vierjährige Verjährungsfrist läuft (die jedoch unter bestimmten Bedingungen auf 30 Jahre verlängert werden kann).

Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 30.03.2022- L 9 AS 217/22 B ER.

Mal wieder: die angemessene Miete in Berlin

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.09.2020 kristallisiert sich heraus, dass die angemessene Miete nach § 22 SGB II in Berlin sich nach dem Wohngeldgesetz richtet (siehe auch hier: Zusicherung zum Umzug – Mietobergrenzen in Berlin)

In dem vorliegenden Fall hat das Gericht insbesondere auch davon abgesehen, ein Gutachten über die Frage der angemessenen Mieten einzuholen, da derartige Werte nicht bzw. kaum im Nachhinein zu ermitteln sind.

Auch bei einer bestehender Kostensenkung Kannen aktueller Bescheid mit einem Widerspruch bzw. rückwirkend mit einem Antrag nach § 44 SGB X angegriffen werden.

Urteil des SG Berlin vom 15.02.2022 – S 136 AS 2303/18

Zusicherung zu einem Umzug in eine „zu teure“ Wohnung

Abermals hat das SG Berlin in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Zusicherung zu einem Umzug in eine „zu teuere“ Wohnung bejaht.

Um ein Wohnung anmieten zu können, bedarf es nach Gesetz und Rechtsprechung stets eine konkreten Wohnungsangebotes und eine konkrete Zusicherung ; eine abstrakte Zusicherung ist nichts wert.

Nun ist praktisch das Problem, dass im Falle der Ablehnung einer Zusicherung man natürlich Widerspruch erheben kann: so ein Widerspruchsverfahren kann aber dauern und die wenigsten Vermieter haben Lust so lange zu warten.

Also muss man eine einstweilige Anordnung erwirken und hoffen, dass auch diesbezüglich die Verfahrensdauer im Rahmen bleibt.

Einfach ohne Zusicherung umzuziehen kann nach hinten losgehen, da die JobCenter nach dem Gesetz nur verpflichtet sind, die alte Miete anzuerkennen, also eine höhere Miete nicht übernommen wird.

Diese Rechtsstreitigkeiten sind also furchtbar zeitkritisch.

Um eine Zusicherung zu einem Umzug zu erhalten, muss die neue Miete angemessen sein; in Berlin existiert nun – wie schon einmal ausgeführt- das Problem, dass die Angebotsmieten DEUTLICH höher sind, als die von dem JobCenter vorgegebenen Mieten.

Dies liegt u.a. daran, dass nicht geprüft, wird, ob zu den angemessenen angesehenen Mietpreisen tatsächlich auch Wohnungen verfügbar sind.

Als „Hilfskonstruktion“ werden insofern die Tabellenwerte des § 12 WoGG angewendet.

Da die Wohnung, die hier angemietet werden sollte, entsprach nicht den Vorgaben der AV Wohnen, war jedoch im Rahmen der nach dem WoGG sich ergebenen Beträge (idF. vom 01.01.2022).

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die AV Wohnen Werte nicht schlüssig sind und daher eben nach den Vorgaben des WoGG eine angemessene Wohnung sei und hat daher die Zusicherung im Wege einstweiligen Rechtsschutzes erteilt.

SG Berlin, Beschluss vom 09.02.2022 S 203 AS 466/22 ER

Verjährung von Rückforderungen nach § 328 SGB III

Nach dem Urteil des BSG zur Frage der Verjährung stellen sich nun viele Detailfragen.

So ist es umstritten, ob auch die Rückforderung von vorläufig bewilligten Leistungen nach § 40 SGB II iVm § 328 SGB III (heute: § 41a SGB II) auch innerhalb von vier Jahren verjähren.

Das SG Berlin ja nun diese Frage in seinem Urteil vom 19.11.2021 – S 129 AS 4900/20 – bejaht:

Ein Erstattungsanspruch nach § 40 SGB II iVm § 328 SGB III verjährt auch in entsprechender Anwendung der Reglung in § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB I i.V.m. § 50 Abs. 4 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der endgültige Festsetzungsbescheid unanfechtbar geworden ist.

Mahnschreiben erfüllen keine verjährungshemmende Wirkung

Demnach tritt immer innerhalb von vier Jahren Verjährung von Rückforderungen des JobCenters ein; eine Ausnahme besteht nur, wenn noch ein „Durchsetzungsbescheid“ ergangen ist, was jedoch in der Praxis fast nie der Fall gewesen ist.

Urteil des SG Berlin vom 19.11.2021- S 129 AS 4900/20

Zusicherung zum Umzug – Mietobergrenzen in Berlin

Aktuell werden – wegen § 67 SGB II – keine Kostensenkungsmaßnahmen gegenüber Leistungsempfängern angekündigt oder durchgeführt (bis mindestens zum 31.12.2021).

Bei Umzügen oder bereits abgesenkten Mieten wird jedoch durch die Berliner JobCenter die sog. AV Wohnen angewandt. Zu Zeiträumen in der Vergangenheit hat das Bundessozialgericht zu den dort angegebenen Mietobergrenzen („angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung“ nach § 22 SGB II bzw. § 35 SGB XII) geurteilt, dass es nicht ausreicht, diese nur anhand des Mietspiegels zu berechnen, sondern auch zu prüfen, ob für diese Mietwerte Wohnungen verfügbar sind. Diese Verfügbarkeitsprüfung wird jedoch nicht durchgeführt (vgl. Punkt IV AV Wohnen).

Die konsequente Rechtsfolge ist, dass bei bereits abgesenkten Mieten oder Neuanmietungen sich die Mietobergrenzen aus dem Wohngeldgesetz zzgl. eines Sicherheitszuschlages von 10 % + den Heizkosten ergeben. Berlin ist hierbei in Mietstufe IV eingruppiert.

Neben Leistungsempfängern, denen bereits nur eine abgesenkten Miete übernommen wird, stellt sich bei Umzugswilligen dann auch die Frage nach der angemessenen Miete.

Vor dem Umzug muss nämlich nicht nur ein Umzugsgrund vorliegen, sondern die Miete für die Wohnung muss auch angemessen sein.

Im vorliegenden Fall wollte meine schwangere Mandantin aus der aktuellen Wohnung aus verschiedenen (sinnvollen) Gründen eine neue Wohnung anmieten. Nach Ansicht des zuständigen JobCenters war diese jedoch „zu teuer“. Faktisch existieren jedoch auf dem Berliner Wohnungsmarkt keine anmietbaren Wohnungen für um die 6,50 €/qm; was auffallen würde, käme man der Verpflichtung des Bundessozialgerichtes nach, die Verfügbarkeit für solche Wohnungen zu prüfen.

Insofern hat das Sozialgericht Berlin das JobCenter zu einer Zusicherung zu einer Wohnung verpflichtet, die zwar nicht angemessen nach der AV Wohnen ist, aber die Angemessenheitskriterien nach dem WoGG entspricht; auf die Frage, ob wegen § 67 SGB II ohnehin sozusagen jede Wohnung anmietbar ist (so zB.: LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 11.3.2021, L 9 AS 233/21 ER und Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Juli 2021 – L 16 AS 311/21 B ER ) kam es nicht mehr an.

Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04.11.2021 S 114 AS 6315/21 ER

Keine Anwendung der AV Wohnen; was nun?

Nach den Urteilen des Bundessozialgerichtes aus September 2020 ist in Berlin die AV Wohnen zur Bestimmung der angemessenen Mieten bei ALG II-Empfänger nicht anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass höhere Mieten übernommen werden bzw. übernommen werden müss(t)en.

Hintergrund ist, dass die JobCenter nicht ermittelt haben, ob für die angegebenen Mietpreise tatsächlich Wohnungen hinreichend anmietbar sind.

Zwar behauptet die Senatsverwaltung für Soziales, dass einem Kostensenkungsverfahren drei freie Wohnungen gegenüberstehen. Dies ist jedoch dahingehend problematisch, als das die Rechtsprechung die Beweislast für die Nicht-Verfürbarkeit von Wohnungen bislang praktisch allein auf den Kläger abwälzte- wenn man 20 erfolglose Wohnungssuchen vorlegte, konnte es passieren, dass ein Gericht der Meinung war, das dies zu wenig seinen.

Zu der Auffassung der JobCenter, Wohnraum sei ausreichend aufgrund der eigenen Ermittlungen der JobCenter verfügbar, hat jedoch nun jüngst das Sozialgericht Berlin ( Urt. v. 06.07.2021 – S 179 AS 1083/19) folgendes nachvollziehbar und ziemlich einleuchtend festgestellt:

Insbesondere sind die vom Beklagten vorgetragenen Berechnung des Landes Berlin ungeeignet, die Verfügbarkeit von Wohnraum zu belegen.

Zum einen stützt sich die Berechnung auf die im sog. Marktmonitor des Verbandes der Berlin-Brandenburger Wohnungsunternahmen e.V. (im Folgenden BBU) angegebene Leerstandsquote von 1,7 Prozent (vgl. BBU-Marktmonitor 2019, S.  56, https://bbu.de/publikationen?type=36; Abruf Juni 2021). Dabei lässt die Berechnung jedoch unberücksichtigt, dass von diesem Wert bereits nach den Angaben des BBU nicht auf eine Verfügbarkeit von Wohnraum geschlossen werden kann. Denn der BBU führt im Marktmonitor aus (BBU-Marktmonitor 2019, Seite  61, a.a.O.)

„Die Aufschlüsselung nach Leerstandsgründen zeigt, dass das Gros der Wohnungen nur kurzfristig leer steht. Der Anteil der Wohnungen, die wegen laufender Modernisierungsmaßnahmen, Mieterwechsel oder sonstiger Gründe leer stehen, macht gut 84 Prozent der leer stehenden Wohnungen aus. Allein gut ein Drittel der leer stehenden Wohnungen war zum Jahresende 2018 aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen nicht bewohnt. Lediglich 222 der 12.380 leerstehenden Wohnungen standen Ende 2018 aufgrund von Vermietungsschwierigkeiten längerfristig leer.“

Wohnungen, in denen Modernisierungsmaßnahmen ausgeführt werden, stehen dem Wohnungsmarkt ebenso nicht zur Verfügung wie Wohnungen, die bereits an einen Mieter für Folgemonate vergeben wurden.

Zum anderen lässt die Betrachtung des Beklagten außer Betracht, dass auch andere Personen als die im Vergleichsjahr zur Kostensenkung aufgeforderten SGB II-Empfänger nach Wohnungen suchten. Denn die aus der Leerstandsquote hochgerecht als verfügbar angesehenen Wohnungen werden vom Beklagten allein mit dem Bedarf derjenigen Leistungsberechtigten vergleichen, die im gleichen Zeitraum zur Kostensenkung neu aufgefordert wurden. Dies lässt zum einen die Nachfrage der Leistungsberechtigten außer Betracht, die in Vorzeiträumen zur Kostensenkung aufgefordert wurden und nun eine neue Wohnung suchen. Dies lässt darüber hinaus die Nachfrage andere Bezieher von Sozialleistungen, wie Sozialhilfe, BAföG, Wohngeld, und die Nachfrage von Haushalten mit einem geringen Einkommen, ohne Fürsorgeleistungen zu beziehen, außer Betracht.

Stellt sich nun aber die Anschlussfrage, was zu tun ist.

In dem oben benannten Urteil holte das Gericht zu den Kosten einer Drei-Raum-Wohnung ein Gutachten ein und kam so auf einen Wert von  655,00 EUR  bruttokalt zzgl. Heizkosten .

Mit Urteil vom 27.07.2021 hat das SG Berlin (S 204 AS 6271/18) in einem hier vertretenden Fall die Tabellenwerte zzgl. eines Sicherheitszuschlages von 10 % angewendet:

In Ermangelung eines schlüssigen Konzepts sind nach ständiger Rechtsprechung des BSG die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft dem Bedarf für die Unterkunft zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) plus Zuschlag von 10 % (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019  –  B 14 AS 24/18 R  –, Rn. 30 mwN, zitiert nach juris).

Dies ist gleichfalls vertretbar: nach hiesigen Erkenntnissen und Marktbeoachtungen dürfte sich zumindest bei Ein-Personen-Haushalten kaum ein Unterschied zwischen dem Tabellenbetrag nach dem WoGG und einer tatsächlichen Marktbeobachtung ergeben: der Betrag dürfte sich um die 475-485 € bruttokalt (also + Heizkosten ) für die vergangenen Jahre und – bei Anwendung des WoGG- aktuell 525,78 € bruttokalt zzgl. Heizkosten liegen).

Kurzum: die von den JobCentern anerkannten und als angemessen betrachteten Mieten sind so nicht anzuwenden: hierfür ist kein Wohnraum tatsächlich in Berlin in der notwendigen Breite verfügbar.

Urteil des Sozialgericht Berlin Urteil vom 27.07.2021 – S 204 AS 6271/18-

Deckel weg – und nun?

Nachdem der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin („Berliner Mietendeckel“) für nichtig erklärt hat, stellt sich für Leistungsbezieher bzw. ehemalige Leistungsbezieher die Frage, was nun zu tun ist.

Nach dem Beschluss des BVerfG ist das Gesetz rückwirkend unwirksam.

Für Leistungsbezieher, die im fortlaufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II /SGB XII stehe, kann ein Antrag auf rückwirkende Überprüfung nach § 44 SGB X gestellt werden und auf Anpassung der aktuellen Bescheide. Es sollte ggf vorab beim Vermieter angefragt, werden, wie hoch die Nachzahlung ist.

Selbes gilt für ehemalige Leistungsbezieher. Auch ist dürfte nach § 44 SGB X die Leistungsbescheide rückwirkend anzupassen sein.

Fraglich ist, wie sich die Sache verhält, wenn keine Leistungen nach dem SGB II/SGB X II bezogen worden sind und keine Rücklagen gebildet worden sind. Hier besteht die Möglichkeit ggf. ein Darlehen nach § 22 Abs. 8 SGB II bzw. § 36 SGB XII (oder auch § 24 SGB II) zu beantragen. Da das Land Berlin angekündigt hat, eine „sozialverträgliche“ Lösung zu finden, ist davon auszugehen, dass die JobCenter bzw. die Sozialämter die Nachzahlungen darlehensweise übernehmen. Es ist zu raten, derartige Anträge möglichst zügig zu stellen, spätestens wenn eine Zahlungsaufforderung des Vermieters da ist.

Unvollständige Belehrung – keine Sanktion

Die Klägerin ist selbstständig und sollte eine Maßnahme absolvieren, deren Sinn und Ziel mit ihrer selbstständigen Tätigkeit eher nicht übereinstimmte.

Sie trat die Maßnahme daher nicht an und wurde um 30 % sanktioniert.

Der gegen die Sanktion erhobene Klage wurde stattgegeben und zwar mit einer sehr schlüssigen Argumentation unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes – und der neuen Rechtsprechung des BSG zur Belehrung bei Sperrzeiten-, das nämlich die Rechtsfolgenbelehrung (also der Hinweis, wann eine Sanktion eintreten wird) unzutreffend war:

Eine Leistungsminderung nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II kann nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nur wahren, wenn sie nicht darauf ausgerichtet ist, repres- siv Fehlverhalten zu ahnden, sondern darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden,die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Es gelten danach strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, weil die Minderung existenzsichernder Leistungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zur Existenzsicherungspflicht des Staates aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG steht. Denn der Gesetzgeber enthält vor, was er nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu gewähr- leisten hat. Er belastet außerordentlich, weil er dasjenige suspendiert, was Bedürftigen grundrechtlich gesichert zusteht.

Dies war vorliegend nicht der Fall; in aktuellen Bescheiden ist dieser Hinweis hin und wieder enthalten; das Urteil (bzw. der Gerichtsbescheid) dürfte jedoch auf noch laufende Verfahren anzuwenden sind.

Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 27.01.2021 – S 114 AS 3501/17