Auch Nutzungsentschädigung nach Kündigung ist zu übernehmen

Es gibt die unangenehme Verwaltungspraxis, dass nach einer Kündigung der Wohnung das JobCenter die Mietzahlungen an den Vermieter einstellt.

Dies ist rechtswidrig.

Im vorliegenden Fall war es so, dass der Antragsteller sich gerichtlich verpflichtete hatte, die Wohnung bis zum 31.12.2023 zurückzugeben. Neuer Wohnraum konnte jedoch noch nicht angemietet werden, so dass im Dezember absehbar war, dass er noch in der Wohnung leben wird. Der Vermieter hatte die Zwangsräumung noch nicht beantragt und die Lebenspraxis zeigt, dass zumindest wenn die Miete gezahlt wird, hiervon auch erstmal Abstand genommen wird.

Da das JobCenter jedoch von der Vereinbarung Kenntnis hatte, stellte es die Mietzahlungen zu Januar einfach ein.

Der hiergegen erhobene Antrag hatte Erfolg. Denn auch die Nutzungsentschädigung nach dem Ende des Mietverhältnisses ist ein Bedarf nach § 22 SGB II und daher zu übernehmen.

Demnach ist auch im Falle einer Kündigung (oder wie vorliegend aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder Vergleich nach Ablauf der Räumungsfrist) eine Nutzungsentschädigung durch das Jobcenter weiter zu zahlen.

Beschluss des SG Berlin vom 28.12.2023 S 121 AS 6506/23ER

Zustimmung zu einem Umzug- zur Angemessenheit von Mieten in Berlin

Nichts weltbewegend Neues; aber dies ist vielleicht die Neuigkeit:

Ind er Sache ging es um die Zustimmung zu einem Umzug. Das gesetz macht es Empfängern von Leistungen nach dem SGB II („Bürgergeld“) da recht kompliziert.

Im ersten Schritt muss eine Zusicherung zu einem Umzug gestellt werden, da ansonsten die Gefahr besteht, dass nicht alle Kosten übernommen werden. Dies soll nach verwlatungsinternen Bestimmungen innerhalb von drei Tagen erfolgen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Umzug notwenig ist (das ist dann der Fall, wenn soszusagen auch ein objektiver Dritter umziehen würde) und die Miete angemessen ist (was eher das Problem ist) . Zuständig für die Zustimmung ist das JobCenter in dessen Zuständigkeitsbereich man hinziehen möchte; in Berlin ist es jedoch aufgrund einer Verwaltungsvereinbarung das JobCenter in dessen Zuständigkeitsbereich man noch wohnt.

Wenn das JobCenter die Zustimmung ablehnt, wird es meist zeitkritisch, da eine Anmietung ohne Zustimmung dazu führen kann, dass die Miete nicht vollständig übernommen wird.

Daher ist nach Ablehnung oder Nichtreaktion ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu empfehlen.

Hierbei ist es natürlich problematisch, dass im Falle eines positiven Ausganges sozusagen endgültig entschieden wird („Vorwegnahme der Hauptsache“) und das einstweilige Verfahren eigentlich nur dazu dienen soll, einen Rechtszustand – wie der Name schon sagt- „einstweilig“ zu sichern.

Im vorliegenden Fall war die Antragstellerin obdachlos und wollte eine Wohnung zu einem aus Sich des Jobcenters unangemessen Mietpreis anmieten.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bejahte in seinem Beschluss einerseits die Möglichkeit die Hauptsache durch die Zusicherung vorwegzunehmen und anderseits hat es nicht die AV Wohnen zur Bestimmung der angemessenen Miete angewandt, sondern auf die Werte aus dem Wohngeldgesetz zurückgegriffen.

Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.09.2023 L 9 AS 916/23B ER

Krankengeld als laufende oder einmalige Einnahme?

Die Zahlung von Krankengeld kann lange dauern und erfolgt meist unregelmäßig.

Krankengeld wird grundsätzlich auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet. Fraglich ist nur wie: als einmalige oder als laufende Einnahme.

Dies ist besonders dann relevant, wenn die Krankengeldnachzahlung höher ist, als der Bedarf nach dem SGB II.

In einem vom SG Berlin entschiedenen Fall war dies deswegen relevant, weil das JobCenter die Zahlung nur in einem Monat angerechnet hatte -also als einmalige Einnahme- und sich deswegen keinen Leistungsanspruch ergab. Hätte das Amt dies als laufende Einnahme betrachtet, so hätte sich ein weiterer Leistungsanspruch ergeben, da diese Einnahme auf sechs Monate verteilt werden müsste.

Mit Urteil vom 25.09.2023 hat das SG Berlin entschieden, dass in diesem Fall die Krankengeldzahlung eine einmalige Einnahme ist (Urteil vom 25.09.2023 – S 123 AS 2209/22). Es führt aus, dass sich die Nachzahlung hier in einer einzige Leistung erschöpft und schließt sich so dem LSG Bayern v. 28.02.2022 – L 7 AS 40/22 B ER an.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das LSG Berlin-Brandenburg L 5 AS 1449/19 hier eine andere Auffassung vertritt. Eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes steht aus.

Urteil des SG Berlin vom 25.09.2023 – S 123 AS 2209/22

Mal so, mal so- die Pandemiehilfe im Streit

In der Regel wirken sich die Unterschiede zwischen der horizontalen und vertikalen Einkommensberücksichtigung kaum aus (horizontal: das zu berücksichtigendes Einkommen wird bedarfsanteilig auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt. Vertikal: das zu berücksichtigende Einkommen wird zunächst der das Einkommen erzielenden Person zugeordnet.Ist deren Bedarf gedeckt, so wird das verbleibende Einkommen der zweiten Person zugerechnet.). I

Im Rechtskreis SGB II gilt die horizontale Bedarfsermittlung, im Bereich SGB XII die vertikale.

Bei der Bewilligung der Pandemiehilfen 2021 und 2022 kamen daher im Bereich des SGB II bei Bedarfsgemeinschaften (die Einkommen haben) alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in den Genuss derselben.

Im Bereich des SGB XII gilt nun aber wegen der horizontalen vertikalen Einkommensberücksichtigung, dass Mitglieder die ihren Bedarf aus eigenem Einkommen decken können (Regelsatz + Mietanteil) eigentlich keine Leistungsbezieher nach dem SGB XII sind. Diese haben demnach -obgleich diesen von ihrem Einkommen nur der Regelsatz verbleibt- keine Anspruch auf die Pandiemiehilfen.

Meine Mandantin beantragte in den Jahren 2021 und 2022 die Hilfen und hatte hier keine Erfolg.

Es folgten zwei Klagen mit zwei Ergebnissen:

Für das Jahr 2021 wies das Sozialgericht Berlin die Klage ab (Urteil vom 28.06.2023 S 187 SO 112/22) und lies die Berufung nicht zu.

Für das Jahr 2022 gab eine andere Kammer der Klage statt (und lies die Berufung zu) (Urteil vom 30.06.2023 – S 146 SO  1616/22)

Was nun das richtige Ergebnis sei mag, wird wohl ggf. eine der nächsten Instanzen entscheiden.

Um von einer möglichen positive Entscheidung noch zu profitieren, bietet es sich an, die Auszahlungen für die Jahre 2021 und 2022 noch zu beantragen und ggf. Rechtsmittel dann zu ergreifen.

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 28.06.2023 S 187 SO 112/22

Sozialgericht Berlin Urteil vom 30.06.2023 – S 146 SO  1616/22

Bundesfrewilligendienst und Altersrente

Nach der Unbilligkeitsverordnung ist die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente dann unbillig, wenn eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt wird.

Fraglich war, ob dies auch auf den Bundesfreiwilligendienst zutrifft, da hierfür Sozialabgaben fällig werden, die höher sind /waren als bei einem Minijob und auch der Arbeitsumfang erheblich ist (und die BA den BFD in seinen Statistiken selbst den BFD als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geführt hat)

Mit Urteil vom 22.09.2022 kam das Bundessozialgericht jedoch zu der Erkenntnis, dass nicht alles was aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente auch eine Ente ist, sondern einer bereichsspezifischen Auslegung bedarf.

Wegen einer Neuregelung von § 12a SGB II hat diese Entscheidung jedoch (zur Zeit) nur noch rechtshistorischen Wert.

Urteil des BSG vom 22.09.2022 B 4 AS 60/21 R.

Gaspreisbremse und Anrechnungen

Es trudeln nun die ersten Gasabrechnungen rein und damit auch die ersten Bescheide der JobCenter in denen eine „Anrechnung“/ „Verrechnung“ des Guthabens oder der Nachforderung erfolgt.

Im ersten Schritt ist erst einmal festzustellen, dass ein Guthaben zu verrechnen ist und eine Nachforderung (fast immer! Auch bei Kostensenkungen !) zu übernehmen ist, § 22 SGB II.

Die Anrechnung der „Gaspreisbremse“ aus Dezember 2022 scheint mir jedoch schwer fehleranfällig:

Bei einem hier vorliegenden Fall hat das Jobcenter auf das Guthaben aus der Abrechnung einfach die Dezemberabschlag draufgeschlagen (im Beispiel war das Guthaben 200 € und die Abschlagszahlungen beruhen ca. 100 € im Dezember) so dass in der Summe dann 300 € angerechnet worden sind.

Dies ist jedoch falsch: die Dezemberhilfe bezieht sich in der Höhe auf dem im September 2022 prognostizierten Verbrauch und nicht an der Höhe der Abschlagszahlung im Dezember 2022 (!); da einige Versorger die Abschläge im Sommer 2022 ins Blaue hinein erhöht hatten, spiegeln daher die Abschläge im Dezember 2022 nicht immer den geschätzten Verbrauch – und auf den kommt es an- wider.

Bei einem genauen Blick in die Abrechnung wäre dies dem Jobcenter aufgefallen, da hier die Entlastungssumme (in diesem Fall waren es ca. 70 €) bereits verrechnet war.

Weiterhin ist in den Abschlagszahlungen auch immer der Grundpreis enthalten, so dass die Rechnung: Abschlagszahlung = Höhe der Dezemberhilfe 2022 fast nie aufgeht.

Es ist daher dringend geraten, sich professionelle Hilfe zu suchen und Widerspruch gegen die Änderungsbescheide wegen der Dezemberhilfe 2022 zu erheben!

Von hinten durch die Brust ins Auge….(II)

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die niedrigere „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt (Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 ).

Dies führt demnach zu höheren Leistungen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Aber nur, wenn die jeweiligen Bescheide nicht bestandskräftig sind. Dies ist dann der Fall, wenn kein Widerspruch eingelegt worden ist.

Die Frist für einen Widerspruch beträgt einen Monat nach Zustellung. Diese Frist setzt aber eine ordnungsgemäße Belehrung und einen Bescheid voraus.

Dies ist häufig nicht der Fall (so gibt es keinen Bescheid oder die Belehrung ist falsch erteilt- das erkennt aber häufig nur ein Profi).

Wenn die Belehrung falsch ist, verlängert sich die Frist für einen Widerspruch auf ein Jahr.

Wem das bekannt vorkommt: bei der Entscheidung über Sanktionen gab es eine ganz ähnliche zeitliche Begrenzung, die durch falsche Belehrungen auf ein Jahr verlängert worden ist: Von hinten durch die Brust ins Auge

Rechtliche Beratung hierzu gibt es u.a. über diese Initiative:

Mit Recht zum Recht

Mal wieder: keine Anwendung der AV Wohnen in Berlin

Wie hier schon häufiger Thema hier ist die AV Wohnen die das Land Berlin und die Jobcenter zu Bestimmung der Miete bei ALG II-Empfängern und SGB XII-Leistungsbeziehern nicht anwendbar und es sind idR. höhere Mieten zu übernehmen.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.11.2022 hat das Sozialgericht Berlin nun gleichfalls auch für das Jahr 2021 festgestellt, dass die AV Wohnen kein schlüssiges Konzept ist und daher die Miete angemessenen (und nicht unangemessen) ist.

Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 01.11.2022, S 171 AS 3373/21

Auch im SGB XII – keine Anwendung der AV Wohnen

Nachdem bereits sich eine als sehr gefestigt zu bezeichnende Rechtsprechung betreffend der angemessenen Miete nach § 22 SGB II herausgebildet hat (Keine Anwendung der AV Wohnen; was nun? Die Kosten der Unterkunft bei Hartz IV dürfen nicht nur pauschal nach der AV Wohnen bestimmt werden).

Wenig überraschend hat sich das SG Berlin sich auch im Bereich SGB XII dieser Rechtsauffassung angeschlossen, was zur Folge hat, dass auch im Bereich der SGB XII-Empfänger deutlich höhere Mieten angemessen sind.

Das SG Berlin führt aus.

„Die AV-Wohnen stellen nach Ansicht der Kammer hingegen kein schlüssiges Konzept dar. Denn nach Erkenntnisstand der Kammer stellt diese nicht sicher, dass zu den genannten Werten überhaupt eine hinreichend signifikante Anzahl an Wohnungen verfügbar ist. Nach Ansicht der Kammer ist die Verfügbarkeitsprüfung Teil der Bestimmung der abstrakten Angemessenheit. Sofern kein Nachweis erbracht wird, dass hinreichend Wohnraum zu den ermittelten Werten verfügbar ist, kann ein entsprechendes Konzept vor diesem Hintergrund nach Ansicht der Kammer daher nicht (mehr) als schlüssig angesehen werden.

Beschluss des SG Berlin vom 22.08.2022- S 90 SO 1003/22 ER

Von hinten durch die Brust ins Auge….

Mit Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – hat das Bundesverfassungsgericht bekanntlich (u.a.) 100 % Sanktionen für verfassungswidrig erklärt. Es hat jedoch angeordnet, dass diese Rechtsfrage nur für die Zukunft wirkt und für Bescheide, die brich nichts bestandskräftig sind.

Bestandskraft tritt dann ein, wenn gegen einen Bescheid fristgerecht kein Widerspruch und keine Klage erhoben worden ist. Wer also gegen 100 % Sanktionsbescheide keinen Widerspruch (und keine Klage) erhob, schaute also sozusagen in die „Röhre“, da eine Überprüfung nach § 44 SGB X ausgeschlossen ist.

Nun ist es aber so, dass es mit den Rechtsfolgenbelehrungen bei den Sanktionsbescheiden Probleme gab; damit hatte sich die einmonatige Frist für Rechtsmittel auf ein Jahr verlängert (zum Hintergrund hier: Verfassungswidrigkeit von Sanktionen- wie geht es weiter? Und wann tritt Bestandskraft

ein?)

Damit war es dann möglich, Bescheide, die scheinbar bestandskräftig waren (die einmonatige Widerspruchsfrist war schon lange abgelaufen) noch mit Widerspruch und Klage anzugreifen und aufheben zu lassen (die 100 % Sanktion war ja offensichtlich rechtswidrig).

Folgerichtig hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 16.08.2022 demnach eine 100 % Sanktion aufgehoben, die im Dezember 2018 ausgesprochen worden war und gegen diese erst im Oktober 2019 Widerspruch erhoben worden war:

Urteil des Sozialgerichtes Berlin, Urteil vom 16.08.2022- S 128 AS 10031/19