Mal so, mal so- die Pandemiehilfe im Streit

In der Regel wirken sich die Unterschiede zwischen der horizontalen und vertikalen Einkommensberücksichtigung kaum aus (horizontal: das zu berücksichtigendes Einkommen wird bedarfsanteilig auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt. Vertikal: das zu berücksichtigende Einkommen wird zunächst der das Einkommen erzielenden Person zugeordnet.Ist deren Bedarf gedeckt, so wird das verbleibende Einkommen der zweiten Person zugerechnet.). I

Im Rechtskreis SGB II gilt die horizontale Bedarfsermittlung, im Bereich SGB XII die vertikale.

Bei der Bewilligung der Pandemiehilfen 2021 und 2022 kamen daher im Bereich des SGB II bei Bedarfsgemeinschaften (die Einkommen haben) alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in den Genuss derselben.

Im Bereich des SGB XII gilt nun aber wegen der horizontalen vertikalen Einkommensberücksichtigung, dass Mitglieder die ihren Bedarf aus eigenem Einkommen decken können (Regelsatz + Mietanteil) eigentlich keine Leistungsbezieher nach dem SGB XII sind. Diese haben demnach -obgleich diesen von ihrem Einkommen nur der Regelsatz verbleibt- keine Anspruch auf die Pandiemiehilfen.

Meine Mandantin beantragte in den Jahren 2021 und 2022 die Hilfen und hatte hier keine Erfolg.

Es folgten zwei Klagen mit zwei Ergebnissen:

Für das Jahr 2021 wies das Sozialgericht Berlin die Klage ab (Urteil vom 28.06.2023 S 187 SO 112/22) und lies die Berufung nicht zu.

Für das Jahr 2022 gab eine andere Kammer der Klage statt (und lies die Berufung zu) (Urteil vom 30.06.2023 – S 146 SO  1616/22)

Was nun das richtige Ergebnis sei mag, wird wohl ggf. eine der nächsten Instanzen entscheiden.

Um von einer möglichen positive Entscheidung noch zu profitieren, bietet es sich an, die Auszahlungen für die Jahre 2021 und 2022 noch zu beantragen und ggf. Rechtsmittel dann zu ergreifen.

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 28.06.2023 S 187 SO 112/22

Sozialgericht Berlin Urteil vom 30.06.2023 – S 146 SO  1616/22

Bundesfrewilligendienst und Altersrente

Nach der Unbilligkeitsverordnung ist die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente dann unbillig, wenn eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt wird.

Fraglich war, ob dies auch auf den Bundesfreiwilligendienst zutrifft, da hierfür Sozialabgaben fällig werden, die höher sind /waren als bei einem Minijob und auch der Arbeitsumfang erheblich ist (und die BA den BFD in seinen Statistiken selbst den BFD als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geführt hat)

Mit Urteil vom 22.09.2022 kam das Bundessozialgericht jedoch zu der Erkenntnis, dass nicht alles was aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente auch eine Ente ist, sondern einer bereichsspezifischen Auslegung bedarf.

Wegen einer Neuregelung von § 12a SGB II hat diese Entscheidung jedoch (zur Zeit) nur noch rechtshistorischen Wert.

Urteil des BSG vom 22.09.2022 B 4 AS 60/21 R.

Gaspreisbremse und Anrechnungen

Es trudeln nun die ersten Gasabrechnungen rein und damit auch die ersten Bescheide der JobCenter in denen eine „Anrechnung“/ „Verrechnung“ des Guthabens oder der Nachforderung erfolgt.

Im ersten Schritt ist erst einmal festzustellen, dass ein Guthaben zu verrechnen ist und eine Nachforderung (fast immer! Auch bei Kostensenkungen !) zu übernehmen ist, § 22 SGB II.

Die Anrechnung der „Gaspreisbremse“ aus Dezember 2022 scheint mir jedoch schwer fehleranfällig:

Bei einem hier vorliegenden Fall hat das Jobcenter auf das Guthaben aus der Abrechnung einfach die Dezemberabschlag draufgeschlagen (im Beispiel war das Guthaben 200 € und die Abschlagszahlungen beruhen ca. 100 € im Dezember) so dass in der Summe dann 300 € angerechnet worden sind.

Dies ist jedoch falsch: die Dezemberhilfe bezieht sich in der Höhe auf dem im September 2022 prognostizierten Verbrauch und nicht an der Höhe der Abschlagszahlung im Dezember 2022 (!); da einige Versorger die Abschläge im Sommer 2022 ins Blaue hinein erhöht hatten, spiegeln daher die Abschläge im Dezember 2022 nicht immer den geschätzten Verbrauch – und auf den kommt es an- wider.

Bei einem genauen Blick in die Abrechnung wäre dies dem Jobcenter aufgefallen, da hier die Entlastungssumme (in diesem Fall waren es ca. 70 €) bereits verrechnet war.

Weiterhin ist in den Abschlagszahlungen auch immer der Grundpreis enthalten, so dass die Rechnung: Abschlagszahlung = Höhe der Dezemberhilfe 2022 fast nie aufgeht.

Es ist daher dringend geraten, sich professionelle Hilfe zu suchen und Widerspruch gegen die Änderungsbescheide wegen der Dezemberhilfe 2022 zu erheben!

Von hinten durch die Brust ins Auge….(II)

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die niedrigere „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt (Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 ).

Dies führt demnach zu höheren Leistungen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Aber nur, wenn die jeweiligen Bescheide nicht bestandskräftig sind. Dies ist dann der Fall, wenn kein Widerspruch eingelegt worden ist.

Die Frist für einen Widerspruch beträgt einen Monat nach Zustellung. Diese Frist setzt aber eine ordnungsgemäße Belehrung und einen Bescheid voraus.

Dies ist häufig nicht der Fall (so gibt es keinen Bescheid oder die Belehrung ist falsch erteilt- das erkennt aber häufig nur ein Profi).

Wenn die Belehrung falsch ist, verlängert sich die Frist für einen Widerspruch auf ein Jahr.

Wem das bekannt vorkommt: bei der Entscheidung über Sanktionen gab es eine ganz ähnliche zeitliche Begrenzung, die durch falsche Belehrungen auf ein Jahr verlängert worden ist: Von hinten durch die Brust ins Auge

Rechtliche Beratung hierzu gibt es u.a. über diese Initiative:

Mit Recht zum Recht

Mal wieder: keine Anwendung der AV Wohnen in Berlin

Wie hier schon häufiger Thema hier ist die AV Wohnen die das Land Berlin und die Jobcenter zu Bestimmung der Miete bei ALG II-Empfängern und SGB XII-Leistungsbeziehern nicht anwendbar und es sind idR. höhere Mieten zu übernehmen.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.11.2022 hat das Sozialgericht Berlin nun gleichfalls auch für das Jahr 2021 festgestellt, dass die AV Wohnen kein schlüssiges Konzept ist und daher die Miete angemessenen (und nicht unangemessen) ist.

Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 01.11.2022, S 171 AS 3373/21

Auch im SGB XII – keine Anwendung der AV Wohnen

Nachdem bereits sich eine als sehr gefestigt zu bezeichnende Rechtsprechung betreffend der angemessenen Miete nach § 22 SGB II herausgebildet hat (Keine Anwendung der AV Wohnen; was nun? Die Kosten der Unterkunft bei Hartz IV dürfen nicht nur pauschal nach der AV Wohnen bestimmt werden).

Wenig überraschend hat sich das SG Berlin sich auch im Bereich SGB XII dieser Rechtsauffassung angeschlossen, was zur Folge hat, dass auch im Bereich der SGB XII-Empfänger deutlich höhere Mieten angemessen sind.

Das SG Berlin führt aus.

„Die AV-Wohnen stellen nach Ansicht der Kammer hingegen kein schlüssiges Konzept dar. Denn nach Erkenntnisstand der Kammer stellt diese nicht sicher, dass zu den genannten Werten überhaupt eine hinreichend signifikante Anzahl an Wohnungen verfügbar ist. Nach Ansicht der Kammer ist die Verfügbarkeitsprüfung Teil der Bestimmung der abstrakten Angemessenheit. Sofern kein Nachweis erbracht wird, dass hinreichend Wohnraum zu den ermittelten Werten verfügbar ist, kann ein entsprechendes Konzept vor diesem Hintergrund nach Ansicht der Kammer daher nicht (mehr) als schlüssig angesehen werden.

Beschluss des SG Berlin vom 22.08.2022- S 90 SO 1003/22 ER

Von hinten durch die Brust ins Auge….

Mit Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – hat das Bundesverfassungsgericht bekanntlich (u.a.) 100 % Sanktionen für verfassungswidrig erklärt. Es hat jedoch angeordnet, dass diese Rechtsfrage nur für die Zukunft wirkt und für Bescheide, die brich nichts bestandskräftig sind.

Bestandskraft tritt dann ein, wenn gegen einen Bescheid fristgerecht kein Widerspruch und keine Klage erhoben worden ist. Wer also gegen 100 % Sanktionsbescheide keinen Widerspruch (und keine Klage) erhob, schaute also sozusagen in die „Röhre“, da eine Überprüfung nach § 44 SGB X ausgeschlossen ist.

Nun ist es aber so, dass es mit den Rechtsfolgenbelehrungen bei den Sanktionsbescheiden Probleme gab; damit hatte sich die einmonatige Frist für Rechtsmittel auf ein Jahr verlängert (zum Hintergrund hier: Verfassungswidrigkeit von Sanktionen- wie geht es weiter? Und wann tritt Bestandskraft

ein?)

Damit war es dann möglich, Bescheide, die scheinbar bestandskräftig waren (die einmonatige Widerspruchsfrist war schon lange abgelaufen) noch mit Widerspruch und Klage anzugreifen und aufheben zu lassen (die 100 % Sanktion war ja offensichtlich rechtswidrig).

Folgerichtig hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 16.08.2022 demnach eine 100 % Sanktion aufgehoben, die im Dezember 2018 ausgesprochen worden war und gegen diese erst im Oktober 2019 Widerspruch erhoben worden war:

Urteil des Sozialgerichtes Berlin, Urteil vom 16.08.2022- S 128 AS 10031/19

Und wieder: Miete in Berlin

Immer ein Dauerbrenner: die angemessene Miete nach § 22 SGB II im Land Berlin und was die JobCenter zahlen wollen.

Dies war hier schon öfters Thema und die Rechtsprechung des Sozialgerichtes Berlin tendiert nun praktisch einhellig dazu, die Tabellenwerte aus dem Wohngeld anzuwenden (die deutlich höher sind; siehe hier).

In einem Urteil und einem Beschluss (beides rechtskräftig) hat nun für die Jahre 2021 und 2022 das Sozialgericht Berlin abermals die Wohngeldtabelle und nicht die AV Wohnen angewandt.

Beschluss des SG Berlin vom 6.07.2022 S 129 AS 3280/22 ER

Urteil des SG Berlin vom 01.07.2022 S 129 AS 1020/22

Keine Versagung bei fehlender Mitwirkung

Die Versagung wegen fehlender Mitwirkung ist ein scharfes Schwert und findet ihre Rechtsgrundlage in § 66 SGB I.

Hiernach kann im Falle mangelnder Mitwirkung die Leistungen versagt (oder entzogen) werden. Nun gibt es Mitwirkungshandlungen, die dringend notwenig sind, um einen Anspruch zu berechnen (Einkommen , Vermögen etc.) und es gibt Mitwirkungshandlungen, bei denen es dies nicht unbedingt notwendig ist, die Leistungen aber dennoch versagt oder entzogen werden.

Im vorliegenden Fall hatte das JobCenter den Verdacht, dass eine (psychische)Krankheit vorliegt, die zu fehlender Erwerbsfähigkeit führen würde und versagte die Leistung . Schon dies mag sehr fragwürdig sein, kranken Menschen keine Leistungen zu geben und diese sozusagen im Regen stehen zu lassen, ohne bspw. das Sozialamt einzuschalten (denn im Falle fehlender Erwerbsfähigkeit besteht ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII).

Das Sozialgericht hob dann auch den Versagungsbescheid auf, denn dieser erforderte im konkreten Fall die Ausübung von Ermessen, denn die Versagung kann erfolgen, muss aber nicht .

Es führt u.a. aus:

Der angefochtene Versagungsbescheid ist allein schon deshalb rechtswidrig, weil er entgegen der gesetzlichen Grundlage keinerlei zeitliche Begrenzung aufweist.

(…)

Bei der Klärung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a SGB II geht es nicht darum, die Vergabe öffentlicher Mittel aus Steuergeldern zu verhindern, sondern allein um die Klärung der behördlichen Zuständigkeit, da die Klägerin im Falle der Erwerbsunfähigkeit Leistungen der Sozialhilfe in vergleichbarer Höhe erhalten würde.

(…)

Nach dem Wortlaut der Rechtsgrundlage (§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB /) muss sich die Ermessensausübung insbesondere darauf beziehen, ob die Leistung insgesamt oder nur teilweise versagt wird („…kann der Leistungsträger …ganz oder teilweise versagen…“). Ein Versagungsbescheid muss daher Ausführungen hierzu enthalten (LSG Berlin-Brandenburg 10.2.2021 – L 5 AS 1582/20 B PKH). Bei einem vollständigen Entzug des Regelbedarfs ist der Grundsatz der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu berücksichtigen (Trenk-Hinterberger, aaO, § 66 Rn. 12). Dabei ist im Rahmen der Ermessensentscheidung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur teilweisen Verfassungswidrigkeitvon Sanktionen nach§§ 31ft SGB II (BVerfG 5.11.2019- 1 BvL 7/16- BVerfGE152,68)zu berücksichtigen(vgl.BayerischesLSG6.5.2021- L16AS652120-juris Rn. 28). Ferner ist auch zu berücksichtigen, dass Kosten der Unterkunft (§ 22 SGB //) über längere Zeit vorenthalten werden und damit das Risiko der Obdachlosigkeit droht (vgl. Mrozynski, in ders. SGB /, 6. Aufl. 2019, § 66 Rn. 17

Das Gericht hob den Versagungsbescheid demnach auf.

Urteil des SG Berlin vom 22.06.2022- S 205 AS 5122/20

Auch Mietkautionen verjähren….

Bis zu einer Änderung des SGB II war es üblich, dass Mietkautionen durch die JobCenter als Darlehen – gesichert mit einer Abtretungserklärung- gestellt worden sind , aber keine Aufrechnung während des Leistungsbezuges erfolgte. Nach einem Umzug (und die passiert häufiger als angenommen) wurde vergessen, die Mietkaution zurückzufordern (oder der Vermieter verweigerte die Rückzahlung unter fadenscheinigen Gründen).

Im vorliegenden Fall erhielt die Klägerin nach vielen, vielen Jahren des Auszuges eine Mahnung über die Rückzahlung der Kaution. Problem: meist ist die alte Wohnung verkauft, der Vermieter nicht mehr auffindbar und falls doch, wird – was sein gutes Recht ist- Verjährung eingewandt (nach dem BGB drei Jahre).

Das nunmehr am Wohnort der Klägerin zuständige Sozialgericht Detmold entschied mit Gerichtsbescheid vom 15.06.2022, dass die Rückforderung verjährt ist:

Der Geldendmachung steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens , entgegen. Gemäß § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Über den Wortlaut“ hinaus enthält § 242 BGB einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach ein Verhalten jedenfalls dann rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich der andere Teil in Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten setzt (venire contra factum proprium) und der andere darauf vertrauen konnte, dass er ein Recht nicht mehr geltend machen werde. Der Beklagte hat den ihm unwiderruflich übertragenen Rückzahlungsanspruch gegenüber dem Vermieter innerhalb der maßgeblichen Verjährungsfrist nicht geltend gemacht. Der Klägerin war und ist eine Geltendmachung aufgrund der Abtretung nicht möglich

Gerichtsbescheid des SG Detmold vom 15.06.2022 – S 35 AS 520/21