Eine -auch für die Sozialgerichtsbarkeit – lange Verfahrensdauer weist vorliegendes Beschwerdeverfahren zur Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrages (auch „Zwangsrente“ genannt) auf: Der angefochtene Bescheid stammt aus Mai 2014, der angefochtene Beschluss des Sozialgerichtes erste Instanz aus Juni 2014. Die Entscheidung als solche kam dann im Juli 2015 (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 01.07.2015- L 9 AS 1583/14 ER)
Die Sozialgerichtsbarkeit ist chronisch überlastet, für ein Beschwerdeverfahren ist diese Verfahrensdauer aber durchaus ungewöhnlich lange.
Zum Sachverhalt: Der Antragsteller sollte eine Rente beantragen,was dieser jedoch nicht wollte; es bestand eine Eingliederungsvereinbarung und niemand hatte die Rentenhöhe ermittelt.
Das Sozialgericht hatte den Antrag abgelehnt, weil es keine“Eilbedürftigkeit“ sah. Dies ist problematisch: Rechtsmittel gegen die Stellung des Rentenantrages haben keine aufschiebende Wirkung. Daher kann das JobCenter den Antrag auch selbst stellen. Wie oben gesehen, dauern Rechtsstreitigkeiten in der Sozialgerichtsbarkeit häufig recht lange, so daß bei einem Rechtsstreit, der mit 63 begonnen wird, eine Entscheidung vor dem 65. Lebensjahr kaum zu erwarten ist. Einen Rentenantrag dann noch rückgängig zu machen, ist zwar möglich, aber ggf. auch problematisch ; wenn dann noch
Das LSG weist jedoch zu Recht- und meines Erachtens einzig richtig-, darauf hin, daß sich der Rechtsschutz nach § 86a Abs. 1 SGG richtet und eine Interessenabwägung durchzuführen ist. Kurzum: Niemand muß einem rechtswidrigen Bescheid Folge leisten.
Im weiteren geht das LSG davon aus, daß die Aufforderung eine Rente zu stellen, eine -echte- Ermessensentscheidung ist und die Regelungen der Unbilligkeitsverordnung nicht abschließt sind. Damit steht die Rechtsprechung im Gegensatz zur Rechtsprechung des 10. Senates des LSG Berlin-Brandenburg, der mehr oder weniger von einer generellen Verpflichtung zur Rentenantragstellung ausgeht.
Weiterhin führt der Senat aus:
Ebenso wenig hat er die Höhe der dem Antragsteller bei regulärer und bei vorzeitiger Inanspruchnahme zustehenden Altersrente ermittelt. Eine Entscheidung, ob durch die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente im Falle des Antragstellers eine Unbilligkeit gegeben wäre oder er zur Inanspruchnahme von ergänzenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) gezwungen wäre (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Mai 2014, L 7 AS 545/14 B ER, juris), fehlt in den angegriffenen Verwaltungsent- scheidungen deshalb ebenfalls.
Auch an dieser Stelle weicht der 9. Senat von der Rechtsprechung des 10. Senates ab.
Damit fasst der 9. Senat im vorliegenden Beschluss die beide Standpunkte zu den materiell-rechtlichen Einwänden zusammen und stellt nochmals die fragmentierte Rechtslage bei Zwangsrentenbescheiden dar.
Deutlich interessanter und insofern auch neu sind die Ausführungen zu Rechtsschutz. Wie bemerkt, sind die „Zwangsrenten“-Bescheide sofort vollziehbar und eine Verfahren kann lange, lange dauern.
Das LSG führt insofern aus:
Unabhängig davon ist die grundsätzliche und auch vorliegendende Rechtsfrage nach dem Abwägungsmaterial der hier zu treffenden Ermessensentscheidung obergerichtlich umstritten und höchstrichterlich ungeklärt. In dieser Situation kann die Interessenabwägung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 nicht anders ausfallen als wenn nach den Kriterien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach § 32 BVerfGG ohne Berücksichtigung des mutmaßlichen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens zu treffen wäre. Sie muss zu Gunsten Antragstellers ausfallen, weil ihm bei einer Ablehnung seines Antrages und einem vorzeitigen Rentenbezug auf Antrag rundsicherungsträger eine Verletzung Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 droht. Denn nach (bestandskräftiger) Bewilligung einer Rente könnte das mit Klage verfolgte der in § 12 SGB II normierten Verpflichtung zur Rentenantragsteilung nicht nachkommen zu müssen, wegen des in § 7 Abs. 4 II bestimmten Leistungsausschluss Bezug einer Rente wegen Alters nicht mehr oder nur noch unter erheblichen Schwierigkeiten erreicht werden. Die Frage, ob vorangegangene Aufforderung rechtswidrig war, wäre dann nicht mehr von Belang (BSG, Beschluss vom 12. Juni 2013, B 14 AS 5/12 B, juris), der Rechtsstreit grundsätzlich in der Hauptsache erledigt. Schon um eine solche mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarende Rechtsfolge zu vermeiden, ist es geboten, die aufschiebende Wirkung Klage anzuordnen.
M.a.W.: solange die Rechtslage so unübersichtlich ist, sind zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes die Vollzugsfolgen der Bescheide auszusetzen.
Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 01.07.2015- L 9 AS 1583/14 ER
Ein Gedanke zu „Unübersichtliche Rechtslage ? Keine Schnellschüsse des JobCenters!“
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