Unvollständige Belehrung – keine Sanktion

Die Klägerin ist selbstständig und sollte eine Maßnahme absolvieren, deren Sinn und Ziel mit ihrer selbstständigen Tätigkeit eher nicht übereinstimmte.

Sie trat die Maßnahme daher nicht an und wurde um 30 % sanktioniert.

Der gegen die Sanktion erhobene Klage wurde stattgegeben und zwar mit einer sehr schlüssigen Argumentation unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes – und der neuen Rechtsprechung des BSG zur Belehrung bei Sperrzeiten-, das nämlich die Rechtsfolgenbelehrung (also der Hinweis, wann eine Sanktion eintreten wird) unzutreffend war:

Eine Leistungsminderung nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II kann nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nur wahren, wenn sie nicht darauf ausgerichtet ist, repres- siv Fehlverhalten zu ahnden, sondern darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden,die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Es gelten danach strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, weil die Minderung existenzsichernder Leistungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zur Existenzsicherungspflicht des Staates aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG steht. Denn der Gesetzgeber enthält vor, was er nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu gewähr- leisten hat. Er belastet außerordentlich, weil er dasjenige suspendiert, was Bedürftigen grundrechtlich gesichert zusteht.

Dies war vorliegend nicht der Fall; in aktuellen Bescheiden ist dieser Hinweis hin und wieder enthalten; das Urteil (bzw. der Gerichtsbescheid) dürfte jedoch auf noch laufende Verfahren anzuwenden sind.

Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 27.01.2021 – S 114 AS 3501/17

Der unbegrenzte Eingliederungsverwaltungsakt

Wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt, wird diese durch Verwaltungsakt erlassen. Recht häufig wird hierbei bei  Geltungsdauer ein Beginn angegeben, nicht jedoch ein Ende, sondern ein „bis auf weiteres“.

Ein Großteil der Rechtsprechung geht dann aus, dass dies nicht möglich ist, da nun unklar ist, wie lange die Eingliederungsvereinbarung nun gilt.

In dem Verfahren hier  erließ das JobCenter gleichfalls eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt. Es wurde Widerspruch erhoben, der keine aufschiebende Wirkung hat ( § 39 SGB II). Da der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, hätte die Antragstellerin sofort  eine Bewerbungsmaßnahme antreten müssen (da sie über 55 Jahre alt ist und bereits in den letzten Jahren weit über 1000 Bewerbungen bundesweit versandt hat, war ihr dies nicht sehr recht).

Dies blieb ihr dann nun auch vorläufig erspart.

Das SG Berlin hat mit Beschluss vom 28.08.2018 den Verwaltungsakt wegen der unbestimmte Dauer vorläufig ausgesetzt. (Beschluss des SG Berlin vom 28.08.2018 – S 27 AS 8731/18 ER).

 

Die Mandantin freut es – so kann diese nämlich ab Oktober ihre neue Arbeitsstelle antreten…(auch ohne Bewerbungstraining vorab).

Gutscheine und Sanktionen

Im Falle einer Sanktionierung eines Mitgliedes  einer Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Kindern sieht das SG Berlin (Urteil vom  22.Juni 2018 – S 144 AS 15342/17  ) die Notwendigkeit auch ohne Antrag von Amts wegen Gutscheine und Sachleistungen zu bewilligen.

Unterbleibt ein solcher Hinweis, ist die Sanktion automatisch rechtswidrig.

Grundsätzlich sind Gutscheine bei einer Sanktion von mehr als 30 % (also z.B. eine 30 % Sanktion und ein Meldeversäumnis)  nur auf Antrag zu erbringen;  leben minderjährige Kinder in der Bedarfsgemeinschaft, hat er sie zu erbringen.

Das SG Berlin schlußfolgert hieraus, dass das JobCenter auf Amts wegen hierüber (am Ende dann positiv) zu entscheiden hat.

Das SG Berlin führt nachvollziehbar aus, dass der Minderjährigenschutz sichergestellt werden muss, da im Falle einer Sanktion die Gefahr besteht, dass auf deren Leistungen zugegriffen wird.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die Rechtsfrage ist noch nicht entschieden worden (ein Verfahren vor dem Bundessozialgericht zu dieser Rechtsfrage ist auch nicht ersichtlich).

Auf die Frage, ob die Klägerin hier überhaupt eine Pflichtverletzung begangen hatte (was sehr fraglich war) kam es demzufolge nicht mehr an.

 

Urteil des SG Berlin vom 22.Juni 2018- S    144 AS 15342/17 )

 

 

Der unzumutbare Vermittlungsvorschlag

Meine Mandantin hat eine Halbtagsstelle in einem – fast- öffentlichen-rechtlichen Unternehmen. Das JobCenter übermittelte ihr einen Vermittlungsvorschlag für eine Zeitarbeitfirma (Vollzeit), der eine kaufmännische Ausbildung voraussetzt.  Auf diesen Vermittlungsvorschlag  hat sich meine Mandantin nicht beworben.

Es stellte sich also die Frage, ob die Sanktion wegen Nichtbewerbens auf den Vermittlungsvorschlag rechtmäßig war.

Das eingelegte Rechtsmittel gegen die Sanktion hatte Erfolg!

Das SG Berlin führt in seinem Beschluss vom 12.12.2017 aus, dass es nicht zumutbar ist eine sichere Arbeitsstelle, auch wenn diese ein nicht „bedarfsdeckendes “ Einkommen erwirtschaftet, zu kündigen, um in ein Arbeitsverhältnis zu wechseln, wenn dieses nicht in der Lage die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen.

 

Auch muss aus dem Vermittlungsvorschlag sich klar ergeben, welcher Lohn gezahlt wird und unter welchen Bedingungen (Probezeit, Befristung) die Einstellung erfolgen wird.

Beschluss des SG Berlin vom 12.12.2017 – S 96 AS 14965/17 ER  

 

Das meine Mandantin gar nicht über eine kaufmännische Ausbildung verfügte war dann gar nicht mehr so relevant.

Die Null-Festsetzung nach § 41 a SGB II und die vierstelligen Rückforderungen

Als der erste Mandant mit diesem Problem ankam, dachte ich noch , ein Missverständnis läge vor: Er sollte seine abschließende Einkommenserklärung (EKS) im Jahr 2016 für das Jahr 2012 doch bitte nachreichen. Er schaffte es nicht . Folge war ein Aufhebungs-und Erstattungsbescheid, mit dem das JobCenter alle Leistungen aus dem Bewilligungszeitraum im Jahr 2012 wiederhaben wollte.

Er erhob gegen den Bescheid, mit dem das JobCenter alle Leistungen wiederhaben wollte Widerspruch ein, in der Hoffnung, dass im Widerspruchsverfahren vorgelegte Unterlagen berücksichtigt werden.

 

Nicht da sagte das JobCenter !

Nach Ansicht des JobCenters gelten hier  die Arbeitsanweisungen zu § 41a SGB II.

Hiernach gilt:

„Mit einer nachträglichen Vorlage von Unterlagen nach der Wirksamkeit des Ausgangsbescheides ( § 39 SGB X) kann die Festsetzung des Anspruchs grundsätzlich nicht mehr mit dem Vortrag er- folgreich angegriffen werden, dass ein anderes Einkommen erzielt worden sei, da der Grundsicherungsträger gemäß § 41a Absatz 3 Sätze 3 und 4 zur zu dieser Festsetzung berechtigt war. Nach Bekanntgabe der Entscheidung beigebrachte Unterlagen spielen für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung keine Rolle. Maßstab ist im ggf. folgenden Widerspruchsverfahren oder im Antrag nach § 44 SGB X nur noch, ob die Festsetzung als solche ordnungsgemäß durchgeführt wurde und die Voraussetzungen hierfür vorlagen.“

Mit anderen Worten: Das JobCenter berücksichtigt k e i n e nachgereichten Unterlagen mehr im Widerspruchsverfahren, im Klageverfahren oder in einem Wiederaufnahmeverfahren.

 

Dies ist wohl rechtswidrig und mit dem Wortlaut des § 41 a SGB II nicht vereinbar.

Einiges spricht dagegen:

§ 41a SGB II bestimmt nämlich nach seinem Wortlaut  keine Abweichung von den sonstigen allgemeinen Regelungen des (Sozila-)verwaltungsrechtes (mithin z.B. dem Zeitpunkt der letzen mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz); noch wird bestimmt, dass § 44 SGB X nicht anwendbar ist.
Auch aus der Gesetzesbegründung ( BT-. Drucksache 18/8041, S 53) ergibt sich nichts anderes. Vielmehr verweist der Gesetzgeber auf § 40 SGB II iVm § 20 SGB X, betont also den Untersuchungsgrundsatz.

Juristisch betrachtet handelt es sich bei solchen Vorschriften um „Präklusionsvorschriften“ (lat. Ausschluss). Solche Ausschlussfristen sind zwar in einigen Rechtsgebieten gang und gäbe. Diese sind jedoch regelmäßig dem Wortlaut nach gekennzeichnet. Eine solche Abschlussregel läßt sich jedoch dem Gesetz nicht entnehmen.

 

Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Rückforderung der gesamten Summe, obwohl dem JobCenter die Unterlagen bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens Vorlagen gegen das Gesetz verstößt.

 

Den Betroffenen ist zu raten, spätestens im Widerspruchsverfahren die notwenigen Unterlagen vorzulegen, allerspätens vor Gericht.

 

(so auch: SG Berlin S 179 AS 6737/17- Revision anhängig beim Bundessozialgericht B 4 AS 39/17 R)

 

Zur Geltungsdauer einer die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes

Um die Eingliederungsziele „durchzusetzen“ stehen dem JobCenter zwei Instrumente zur Verfügung: einmal die Eingliederungsvereinbarung und einmal der die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt.

Bei der EGV durch Vertrag wird nach der Rechtsänderung zum 01.08.2016  meist in den Vereinbarungen reingeschrieben „bis auf weiteres „.

Wenn eine Eingliederungsvereinbarung jedoch durch Verwaltungsakt erstellt wird (also im Falle des Scheiterns der Verhandlungen) wird auch diese bislang mit der Geltungsdauer „bis auf weiteres“ versehen.

 

Ob dies möglich ist, ist zwischen den Gerichten umstritten. Das SG Berlin hat sich mit Beschluss vom 12.19.2017 S 186 AS 11916/17 ER der Auffassung angeschlossen, dass diese Geltungsdauer sozusagen zu unbestimmt ist (ebenso das Bayerische LSG 8.6.2017 L 16 AS 291/17 B ER).

 

Das SG Berlin führt aus:

 

Auf die Festlegung einer Gültigkeitsdauer für  den Eingliederungsverwaltungsakt kann bereits deshalb nicht verzichtet werden, weil es sich bei diesem um einen Verwaltungsakt handelt, für den die Anforderungen des § 33 Abs. 1 Zehntes Buch (SGB X) gelten, der also hinreichend bestimmt sein muss. Dies setzt voraus, dass für Adressaten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, was die Behörde will

Insofern hat es die aufschiebende Wirkung des Widerspruches angeordnet und damit treten nicht die Rechtswirkungen der EGV unmittelbar ein.

Beschluss des SG Berlin vom 12.10.2017

One size fits all- oder auch nicht? Die unzweckmäßige Maßnahme- Beschluss des SG Berlin vom 16.01.2017

Meine Mandantin hatte bereits diverse Maßnahmen und Coachings durch das JobCenter absolviert. Abermals sollte sie nun eine weitere Maßnahme antreten, die von allgemeiner Lebenshilfe bis Bewerbungstraining alles umfasste.

Sie trat die Maßnahme nicht an, da sie dies unzweckmäßig fand und im übrigen schon diverse Nebenjobs ausübte. Auch im privaten Bereich gab es einige Probleme, die zwar im Sinne des Sozialrechtes nicht „entschuldigen“ aber nachvollziehbar sind. Eigentlich war meine Mandantin wegen ihrer Qualifikationen mit ihrer Erwerbslage  zufrieden.

Es kam dann, wie es kommen muss: Eine 30 % Sanktion wurde ausgesprochen.

Nach reiflicher Überlegung wurde Rechtsschutz gegen den Sanktionsbescheid vor dem SG Berlin gesucht. Dies birgt immer dahingehend Gefahren, als dass in einem Eilverfahren die Rechts-und Sachlage nur „kursorisch“bzw. „summarisch“  – also eher oberflächlich- untersucht wird. Wenn man Pech (oder Glück)  hat, legt sich das Gericht dann auf eine Rechtsansicht fest, die  nur schwer aus der Welt zu schaffen ist.

Nun war der Maßnahmenzuweisung ein Flyer beigefügt, der ein buntes Programm versprach (Gesundheitsfürsorge, Bewerbungstrainings und so weiter und so weiter). Leider war jedoch nichts passendes Neues für meine Mandantin  dabei.

Das SG Berlin – Beschluss vom 16.01.2017- S 53 AS 17169/16 ER- erkannte das meine Mandantin eher ein Motivationsproblem hat, als ein Vermittlungsproblem.

Insofern sprach es aus, dass eine Maßnahme, die auf die Beseitigung von Vermittlungshemnissen abziehlt dann nicht geeignet ist, wenn tatsächlich andere  Hemmnisse vorliegen, die einer Integration    auf den Arbeitsmarkt entgegenstehen.

Beschluss des SG Berlin vom 16.01.2017 – S 53 AS 17169/16 ER

Vorsorglich merkt das Gericht an, dass noch formelle Fehler bei der Sanktionsentscheidung vorliegen.

Wie oben angedeutet, ist dieser Beschluss auch nur das Ergebnis eine kursorischen Prüfung (und insofern erfreulich kurz), die dahingehenden Überlegung aber zutreffend.

Ob Trainingsmaßnahmen überhaupt sinnvoll sind, sei einmal dahingestellt. Die letzte Untersuchung des IAB (eine Einrichtung der BA), kam zu dem Ergebnis, daß diese Maßnahmen teilweise sogar  vermittlungsschädlich sind:  Die Wirkung von Trainingsmaßnahmen für ALG-II-Bezieher.  

 

(Wohl) Keine Sanktion bei Arbeitsangeboten eines Maßnahmeträgers

Mein Mandant war  in einer Maßnahme des JobCenters und dort wurde ihm ein Arbeitsangebot    zum Müllwerker übergeben; er machte sich sofort von der Maßnahme auf den Weg zum Vorstellungsgespräch. Dort angekommen wurde ihm offenbart, daß man eher kein Interesse an solchen schmächtigen Personen wie meinem Mandanten hat und man eher berufserfahrende Mitarbeiter hätte. Mein Mandant wies vorsorglich darauf hin, daß er einen Wirbelsäulenschaden habe und er wohl daher  gesundheitliche Probleme hätte,  die schweren Tonnen zu bewegen.

Dies hielt das JobCenter nachfolgend nicht davon ab, eine Sanktion auszusprechen, da mein Mandant das Zustandekommen eines Arbeitsvertrages verhindert hätte. Oder so. Denn worin die Pflichtverletzung nun genau zu sehen sei, blieb bis zum Ende eher im Dunkeln.

Licht in die Sache brachte sodann das SG Berlin mit Beschluss vom 29.11.2016-      S 171 AS 16066/16 ER. Hiernach gilt:

Der  Sanktionsmechanismus des § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II setzt voraus, dass dem Hilfebedürftigen  eine hinreichend bestimmt bezeichnete Arbeit angeboten wird.

Es ist unzulässig, den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen  einer Einrichtung oder einem Arbeitgeber zuweisen und die Auswahl  der konkreten Tätigkeit der Leitung der Einrichtung oder dem Arbeitgeber zu  überlassen.

Eine Beauftragung  durch den Antragsgegners an die private GmbH (Maßnahmenträger)  sanktionsbewehrte Arbeitsangebote zu unterbreiten, ist  unzulässig.

Damit war die Sache schon von Anfang an vom Tisch. Eine Sanktion aufgrund einer Pflichtverletzung,  die auf einem Arbeitsangebot eines Maßnahmenträges beruht,  dürfte insofern von Anfang an rechtswidrig sein, zumal auf jeden Fall auch noch eine konkrete Rechtsfolgenbelehrung fehlte.

Mein Mandant hofft, daß die ihn betreffende 60 % Sanktion, die mit einer ähnlichen Methode vom Maßnahmenträger und JobCenter ihm gegenüber ausgesprochen ist, nun auch demnächst entfällt.

Beschluss des SG Berlin vom 29.11.2016,  S 171 AS 16066/16 ER.